Ukraine Krieg
Zunächst wollte ich diesen Beitrag unter “Kulturelles” listen, wie auch andere Feier- und Gedenktage. Nachdem ich mich ausführlich mit den Hintergründen auseinandergesetzt habe, bin ich der Meinung, dass er in die Spalte Ukraine-Krieg gehört. Entscheide selbst: 

Welchem Anlass wird am "Tag der Taufe der Rus" gedacht?

Am 28. Juli wird in der Ukraine und Russland dem Tag der Taufe der Rus gedacht. Auf Bestreben der russisch-orthodoxen Kirche 2008 in der Ukraine (День хрещення Київської Русі) und 2010 in Russland (День Крещения Руси) als Gedenktag eingeführt, soll der Tag vor allem der Christianisierung der bis dahin heidnischen Reiche gedenken. 
Seinen Ursprung hat der Gedenktag in der Taufe des Kiewer Großfürsten Wladimir I., der sich am 28.Juli 988 n. Chr.  nach byzantinischem Ritus in Chersones, Krim, hatte christlich Taufen lassen. Um die Taufe ranken sich viele Legenden, am wahrscheinlichsten ist, dass die Vermählung mit der christlichen Prinzessin Anna von Byzanz den Anlass zum Konfessionswechsel gab. 

Wladimir I. Statue in Kiew, Ukraine

Warum ist der Gedenktag Taufe der Kiewer Rus problematisch?

Seit Jahrhunderten gibt die Kiewer Rus Anlass zu Streitigkeiten, vor allem zwischen der heutigen Ukraine und dem heutigen Russland. Aus der Rus, die ursprünglich im 9. Jahrhundert von normannischen Kriegern aufgebaut wurde, entstanden später die Reiche, welche man heute als Weißrussland, Russland und Ukraine kennt. Russland hat vor allem in jüngster Zeit stets betont, dass Kiew damit die Wiege Russlands sei und insbesondere der Ukraine damit stets ihr unabhängiges Existenzrecht abgesprochen. Russland sieht Kiew und die Ukraine als Teil der russischen Nationalgeschichte. Wenn wir uns Äußerungen von Putin im Verlauf der letzten Jahre anschauen und diese im Kontext der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und vor allem des verheerenden Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine seit dem 24.Februar 2022 sehen, wird klar, dass Putin die “Vereinigung eines Groß- Russlands” seit langer Hand angestrebt und geplant hat. 

Die Ukraine erhebt Anspruch auf eine eigene, von Russland getrennte Geschichte. Dadurch, dass das Territorium der heutigen Ukraine seit jeher begehrt war (Fruchtbarkeit, geopolitische Lage, Bodenschätze) und es durch zahlreiche Angriffe, Macht- und Herrscherwechsel keinen kontinuierlichen ukrainischen Nationalstaat gab, ist die Kiewer Rus als Ausgangspunkt der heutigen Ukraine umso wichtiger für die ukrainische Staatssymbolik. Seit 1991 ist die Ukraine unabhängig und schafft eine starke Identifizierung der heutigen Ukraine mit der Kiewer Rus! So mit dem Verweis auf die “tausendjährige Staatlichkeit” (seit der Kiewer Rus), der Nationalwährung Hrywnja, deren Namen von der alten Währung der Kiewer Rus stammt und den Bildern der Kiewer Rus Fürsten Wolodymyr und Jaroslaw auf den Geldnoten, sowie dem “Dreizack” als Wappen der bereits im 11.Jahrhundert gebräuchliches Symbol der Kiewer Rus darstellte. 

Hryvna / Grivna mit Wladimir I. und Jaroslaw dem Weisen
Die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) hat einen sehr lesenswerten Artikel über das schwierige Erbe der Kiewer Rus veröffentlicht. Eine Kernthese des Artikels fand ich besonders erwähnenswert, nämlich das Streitigkeiten um die “Nationalzugehörigkeit” der Kiewer Rus insofern keinen Sinn machen, da heutige Grenzen, Nationalitäten und auch Bezeichnungen wie “Ukrainer” oder “Russen” auf mittelalterliche Gegebenheiten nicht anwendbar sind, da es nach damaligen Kategorien weder “Ukrainer” noch “Russen” gab.  
Hinzu kommt der Konflikt um die religiösen Stätten Kiews. Das Kiewer Höhlenkloster (ukrainisch Києво-Печерська лавра; russisch Киево-Печерская лавра) ist eine der bedeutendsten Ansammlungen von orthodoxen Kirchen, Klöstern und Kapellen seit 1990 UNESCO Weltkulturerbe und am Westufer der Dnepr beheimatet. Hier streiten sich die Ukrainische Orthodoxe Kirche,die dem Moskauer Patriarchat unterstellt ist  und die Orthodoxe Kirche der Ukraine, die dem Patriarchen von Konstantinopel unterstellt ist, um die Zugehörigkeit der Glaubensstätten. 

Dies ist insbesondere relevant, da durch die Spenden der Gläubigen und die Zugänglichkeit für Touristen ein nicht unerheblicher Geldfluss entsteht. Spitze Zungen behaupteten seit jeher, dass ganze Geld der Ukrainisch Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, fließe nach Russland. 

Dazu gibt es übrigens ein super spannendes Buch, welches die engen Machenschaften des “Heiligen” Milliardärs, Hasspredigers, ehemaligem KGB Agent  und oberstem Patriarch Moskaus, Kyrill I. und Putin offenlegt (s. Link* unten). 

Statue Wladimir I., Taufe der Rus Denkmal in Russland, Moskau
Dekoder-Lab, ein Projekt der Universität Basel und der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen, hat dazu einen hervorragenden analytischen Beitrag (kremlin.dekoder.org) veröffentlicht. Das Projekt untersuchte genau, wie Fürst Wladimir I. welcher bis vor Kurzem absolut keine Rolle im russischen Bewusstsein gespielt hat, gezielt von Putin und seinem Machtumfeld in den Jahren vor und während der Annexion der Krim dazu genutzt wurde, eine Zwangseingliederung der Ukraine an “Groß-Russland” vorzubereiten. Die Annexion der Krim, versuchte Putin dadurch zu begründen, dass die Krim durch die Taufe des Fürsten Wladimir in der antiken Stadt Chersones, ähnlichen “sakralen Charakter” habe, wie der Tempelberg in Jerusalem für Juden und Muslime. Während Fürst Wladimir I. es bei Umfragen in Russland im Jahr 2008 nicht mal unter die Top 50 wichtigsten Persönlichkeiten der russischen Geschichte schaffte, forcierte Putin vor allem seit 2014 gezielt mit Briefmarken, Ausstellungen, Historienfilme und populärwissenschaftlichen Geschichtsbüchern die Allgegenwart seines Namensvetters im russischen Bewusstsein. Zum 1000. Todestags Wladimir I. ließ Putin ein umfangreiches und kostspieliges Festprogramm auffahren. Eine imposante Skulptur des Fürsten wurde in Auftrag geben, die nun seit 2016 auf dem Borowitzki-Platz in Moskau steht. In ganz Russland entstehen seit 2013/2014 (Annexion der Krim) Wladimir I.- Monumente am Fließband. 2017 kam eine neue 200 Rubel Banknote in Umlauf, die die antike Stadt Chersones und die annektierte ukrainische (!) Halbinsel Krim zeigen! Die Russen sollten unter Berufung auf den weit verbreiteten orthodoxen Glauben auf die Rechtmäßigkeit der Annexion eingeschworen werden und nachträglich betrachtet, wohl auch auf den Angriffskrieg auf die Ukraine mit dem Ziel der “Wiedervereinigung” vorbereitet werden. 
Russische Briefmarken zum Gedenken der Taufe der Kiewer Rus

Putin nutzt die mangelnde Kontinuität der ukrainischen Nationalstaatlichkeit bewusst als Argument für seinen Angriffskrieg, mit dem Ziel der “Wiedervereinigung”. Angrenzende Staaten, in denen Putin ebenfalls durch gezielte Propaganda seinen Keil eingeschlagen hat, wie z.B. Moldawien (Transnistrien) oder Georgien (Süd Abschasien und Ossetien) wissen, was dieser Narrativ für die Sicherheit ihrer Nationalstaatlichkeit bedeuten kann. Mit dem Narrativ eines Großrusslands oder einer neuen “Sowjetunion” könnte er zahlreiche Länder angreifen und sich auf alte Landesgrenzen und Zusammengehörigkeit berufen. 

Zu glauben, Putin würde nach einer gegebenenfalls erfolgreichen Eroberung der Ukraine einfach zufrieden aufgeben, halte ich für brandgefährlich und naiv. 

Als ich “meine” Ukrainer fragte, ob sie den Tag der Taufe der Rus zu feiern gedächten, wurden sie nachdenklich. Insbesondere in diesem Jahr sei es schwieriger denn je. Der Angriff auf Kiew durch die Russen wurde zwar bisher erfolgreich abgewehrt, aber was will man feiern? Der eigentliche Anlass, die Taufe Wladimirs, hatte die  Zwangschristianisierung der slawischen und bis dahin “heidnischen” Bevölkerung zum Anlass. Chronisten berichten, dass die Dnepr, der riesige Fluss der durch Russland, Weißrussland, die Ukraine und die Stadt Kiew fließt, tagelang rot vom Blut der Heiden gefärbt war. So oder so steht dieser Gedenktag also nicht gerade für Toleranz, Völkerverständigung und Einigkeit. “Meine” Ukrainer sagten, als reiner Gedenktag (im Gegensatz zu einem “Feiertag”) sei der Tag dennoch sehr wichtig, eher im Sinne eines Karfreitags, um sich der Geschichte bewusst zu sein und aus ihr zu lernen. 

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