Die Ukraine vor dem Krieg
Lange war es still auf unserem kleinen Blog. Erst im Herbst letzten Jahres hatte ich alle meine wenigen Computerkenntnisse zusammengenommen und endlich meinen Traum eines Kultur und Reiseblogs verwirklicht. Schwerpunkt als Ukrainisch-Deutsche Familie, natürlich Osteuropa und vor allem die Ukraine. Als die Deutsche in unserer Familie war es mir ein besonderes Anliegen, dass hier zu Lande oftmals vorherrschende Bild über die Ukraine aufzubessern. “Das ist doch ein furchtbar armes Land?”, “Ihr wollt da hinfahren, im 5. Monat schwanger? Was ist wenn du zum Arzt musst?”, “Ist es dort überhaupt sicher?”, “Die Straßen da sind doch katastrophal, wie wollt ihr da mit eurem alten T3 durchkommen?” “Ist das nicht ein Teil von Russland?”... Nach etlichen, zum Teil längeren Aufenthalten kann ich rückblickend sagen, dass die Ukraine für mich ein kleines Paradies war.
Natürlich gab es Korruption, vor allem die Grenzbeamten waren jedes Mal enttäuscht, wenn sie von uns keinen Beitrag zur “Teekasse” herauspressen konnten. Und ja die Straßen waren zum Teil schlecht, jedoch konnte man die letzten 5 Jahre merken, dass alle Anstrengungen unternommen wurden die Situation zu verbessern. Jedes Jahr aufs Neue fuhren wir zum Teil mehrmals in die Ukraine und erfreuten uns sowohl an den neuen Straßen, als auch an den löchrigen Rumpelpisten auf denen unser Bulli wie ein altes Dampfschiff ins Schaukeln geriet und unsere Küken zuverlässig einwog. Es gab viele arme Menschen, doch auf dem Land hatten zumindest viele ein eigenes Haus und konnten den Großteil ihrer Lebensmittel aus Subsistenzwirtschaft decken. In den Städten verdienten sich viele Menschen ihr Zubrot zur Rente durch Flohmärkte am Straßenrand und den vielfältigsten Handel. Die Ukraine war bestimmt noch nicht dort angekommen wo sie sein sollte und meiner Ansicht nach hatte sie auch noch lange nicht den Platz in der Welt eingenommen der ihr zusteht. Nun gab es den Konflikt in der Ukraine schon so lange ich meinen Falken kenne und in die Ukraine mit ihm reise. Der Anblick von Soldaten, Truppen und manchmal auch Kriegsversehrten war mir in diesem Kontext in der Ukraine vertraut, aber wir hatten stets den Gedanken an eine mögliche Zuspitzung des Konflikts beiseite geschoben. Das fiel angesichts der Gastlichkeit, des Wiedersehens mit Freunden und Familie, der schönen Ausblicke und Ausflüge nicht schwer.
Kriegsbeginn in der Ukraine
Als Putin am 24.02.2022 die Ukraine überfiel, stiegen in mir alle Bilder der letzten Jahre hoch. Die Nachrichten über Luhansk und Donezk. Soldaten und Panzer die Richtung Ostukraine zusammengezogen wurden. Die Einschusslöcher, die Gedenktafeln, die Blumen am Maidan in Kiew. Die beiden verwundeten Soldaten, die wir im Riesenrad in Kiew getroffen hatten. Ihr Blick. Die Verschärfung von Putins Wortwahl im vergangenen Jahr. Die Familien vom Bulli-Treffen in Odessa im Sommer. Die Familienväter, größtenteils der ukrainischen Armee zugehörig, selbst in der Sonne voll dunkler Vorahnung. Mein Gehirn mühte sich ab die alten und neuen Bilder in Einklang zu bringen. Völlig ungläubig ging ich mit meinem Falken die Neuigkeiten durch. Über russischsprachige und ukrainische Netzwerke bekommt er die Informationen rund 4-6 Stunden, bevor ich sie auf deutschen oder englischen Nachrichtenseiten finde. Bereits in den Wochen vor dem Krieg, als sich alles zuzuspitzen schien und wir unseren geplanten Besuch in Kiew vorsichtshalber absagten, gingen wir grob durch, wie wir Freunde und Familie im Zweifelsfall zu uns, nach Deutschland in Sicherheit bringen könnten. Zu dem Zeitpunkt glaubte von unseren Bekannten niemand ernsthaft, dass Putin und seine Berater einen offenen Krieg wagen würden.
Als dann der Krieg in aller Brutalität und trotz etwaiger Vorzeichen völlig unvermittelt losging, setzte bei uns Fassungslosigkeit und eine absolute Hilflosigkeit, ja Ohnmacht ein. Wir versuchten alle Bekannten abzutelefonieren und herauszufinden, was wir tun könnten.
Während die einen noch recht entspannt waren, auf Datschen fuhren, in der Hoffnung die Situation würde sich schnell beruhigen, waren andere schon längst im Zentrum der Gefechte, beantworteten Anrufe nur mit “Slava Ukraine- Schickt 4-Wheel-Drives und Munition”, waren andere bereits in Keller und Bunker geflüchtet, saßen andere in ihren Wohnzimmern und filmten scheinbar seelenruhig die Bombenangriffe auf den gegenüberliegenden Häuserblock.
Es war aus der Ferne, hier aus dem sicheren Deutschland schon beinahe unerträglich sich Sorgen zu machen und so hilflos zusehen zu müssen. Wie Marionetten bewegten wir uns einige Tage wie ferngesteuert, versorgten unsere Kinder, redeten nur das Nötigste, erledigten irgendwie unsere Arbeit. Zwischendurch Nachrichten. Abends, die Kinder im Bett, kauerten wir uns auf dem Sofa zusammen, gingen weiter die Nachrichten durch, versuchten Kontakt mit Freunden und Familie aufzunehmen. Als ob man sie beschützen kann, indem man ihre Stimmen immer wieder hört. Die Nachrichten waren knapp. Krisenmodus, schlechter Empfang in den Kellern, keine nervlichen Kapazitäten zu reden. Geld konnte man schon keines mehr schicken um eine spätere Flucht vorzubereiten, die Banken und Geldgeschäfte waren- wie alles andere auch- geschlossen. Niemand wollte fliehen. “Das ist unser Zuhause!” - Diesen Satz hörten und lasen wir unzählige Male.
Menschen in und aus der Ukraine helfen
Ich weiß nicht wie lange diese unwirkliche Lähmung andauerte. Ich raffte mich irgendwann auf, ahnend, dass Menschen aus der Ukraine in Deutschland würden ankommen werden. Ich räumte das Rümpelzimmer auf dem Dachboden auf. Ich entschied, dass mein Arbeitszimmer (bestehend aus meinem Schreibtisch, etlichen Aktenordnern und einem unsortierten Haufen Papiere bestehend) eben so gut im Durchgangszimmer zum Flur aufgehoben wäre. Freunde meines Falkens halfen mir beim Möbelschleppen.
Nun haben wir endlich ein paar Verwandte und Freunde zu uns holen können. Hier werden wir über ihre und unsere Erfahrungen berichten. Wir hoffen so weiter Mut machen zu können, einen Weg aus der Ohnmacht zu finden und weiter den Fokus auf das furchtbare Geschehen aus einem persönlichen Blickwinkel zu lenken und irgendwie Hilfe zu leisten, die ankommt.
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