Ukrainische Juden im Ukraine Krieg
Es ist mehr als Zynismus, dass bereits mit den Unruhen 2014 die jüdischen Gemeinden der Ukraine gezielt von der russischen Propaganda missbraucht wurden, um das antisemitische und faschistische Narrativ gegen die ukrainische Regierung aufzubauen. Damals häuften sich Angriffe auf Juden und Synagogen vor allem in Kiew und im Osten der Ukraine. Die jüdischen Gemeinden bauten z.T. Selbstschutzgruppen auf. Viele Juden vermuteten damals schon, dass die Übergriffe planmäßig durch pro-russische Separatisten ausgeführt wurden, um der ukrainische Regierung die antisemitischen Übergriffe vorwerfen zu können. Tatsächlich unterstützten die ukrainischen Behörden damals jedoch bereits den Aufbau der Selbstschutzgruppen wie der Deutschlandfunk 2014 berichtete.
Traurige Ironie, dass der russische Angriffskrieg nun viele ukrainische Juden ausgerechnet nach Deutschland in die Flucht treibt, dem Land, dass den millionenfachen faschistischen Mord an Juden während des zweiten Weltkriegs zu verantworten hatte...
Laut der vereinten Nationen floh seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs jeder 10. Jude aus der Ukraine. Knapp 30.000 der geschätzt 300.000 ukrainischen Juden sollen seit Kriegsbeginn ausgereist sein. Israel sei laut Aron Schuster, Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) das Zielland Nummer eins der fliehenden Juden, wobei Deutschland seiner Schätzung nach sehr dicht daran sei (vgl. Süddeutsche Zeitung, “Viele ukrainische Juden fliehen nach Deutschland”, 15.04.2022). Einige der jüdischen Flüchtlinge sind noch Überlebende der Shoah, dementsprechend sind sie sehr alt und benötigen besondere Unterstützung.
Die Ukraine war einer der Hauptschauplätze jüdischen Leids während des zweiten Weltkriegs. Traurige Berühmtheit erlangte die Schlucht von Babyn Jar in Kiew. In einem 2 tägigen Massaker wurden mehr als 33.000 Jüdinnen und Juden grauenvoll ermordet. Während des gesamten Russlandfeldzugs der Nazis wurden über 1,5 Millionen ukrainische Juden Opfer des Holocausts. Dies entsprach rund 60 Prozent der jüdischen Vorkriegsbevölkerung.
Schätzungen zur Folge haben 45-50 Prozent der heute in Deutschland lebenden Juden ukrainische Wurzeln. Verständlich also, wenn Deutschland trotz der faschistischen Vergangenheit ein Zielort für ukrainische Juden ist. Die über 100 jüdischen Gemeinden in Deutschland sind gut mit den Ukrainischen vernetzt und die Hilfsbereitschaft ist groß. Hinzu kommt für jüdische Flüchtlinge die Möglichkeit, als sogenannte Kontingentflüchtlinge nach Deutschland einzureisen und damit das Recht zu erhalten, dauerhaft in Deutschland zu bleiben.
Ich finde es unfassbar traurig, dass in diesem ohnehin schon sinnlosen, propagandistisch verdrehten Krieg nun neben allen anderen Kriegsverbrechen die stattfinden, auch noch ein weltweit einzigartiger Ort jüdischen Lebens und Kultur vor allem der jiddischen Sprache zu sterben droht. Das weltweit einst von rund 12 Millionen Menschen, heute nur noch von rund 1,5 Millionen Menschen gesprochene Jiddisch, war und ist eine der wichtigsten Volkssprachen der in Mittel- und Osteuropa beheimateten bzw. stämmigen Juden. Die aschkenasischen Juden (mittel-, nord- und osteuropäische Juden) sprechen Jiddisch bis heute als Gruppen verbindende Sprache in der Diaspora. Muttersprachlich wird es heute zwar fast nur noch in ultra-orthodoxen Gemeinden z.B. in New York, London oder Antwerpen gesprochen. In Israel setzte man bei der Staatsgründung 1948 auf das moderne Hebräisch um das Jiddisch, das mit Verfolgung und Unterdrückung verbunden wurde hinter sich zu lassen.
Jiddische Sprache in Osteuropa - Jiddische Kultur in der Ukraine
Dennoch blieb Jiddisch gerade in Osteuropa verhältnismäßig lebendig, weil die Juden Osteuropas Jiddisch als Muttersprache schätzten und damit ihre kulturelle Verbundenheit auch in der Literatur, Politik und Presse zum Ausdruck brachten. Bereits auf der Czernowitzer Jiddischen Konferenz im Jahr 1908 erklärten sie Ostjiddisch zur Nationalsprache der Juden. Durch die Shoah wurde die Zahl der jiddisch sprechenden Menschen drastisch reduziert. Unter Stalin wurde die jiddische Sprache und Kultur zunächst gefördert, später dann, wie in Odessa, russifiziert oder ganz verdrängt und vergessen. Etliche jiddische Kulturschaffende und religiöse Funktionäre wurden im Auftrag Stalins hingerichtet. Die absolute Assimilation der Juden in allen kommunistischen Nationalrepubliken wurde forciert.
Trotz allem blieben Bukowina, rund um die kulturell bedeutsame Stadt Czernowitz und Ostgalizien, rund um Lemberg / Lwiw, bedeutende Zentren für die jiddische Kultur und die jiddische Sprache. Hier wurde historisch und geographisch bedingt immer schon eine Mischform der Dialekte gesprochen, die sowohl Südost- und Zentraljiddisch umfasste und damit ein wichtiges verbindendes Element darstellte.
Seit 1993 fanden in Czernowitz mehrere der jiddischen Sprache gewidmete Konferenzen statt, vor allem mit dem Ziel “den Platz und die Bedeutung des Jiddischen unter den anderen Sprachen der Welt festzustellen und auf die besondere Identifikation der Bukowina-Juden zu achten, welche tolerant, distinktiv religiös und deutschsprachig sind” (Erzehna Dorzhieva, “Die Jiddische Sprachkultur in der Ukraine”, Uni Augsburg).
In Lemberg fand das Festival “Tage der jiddischen Sprache und der ostjüdischen Kultur” und wissenschaftlich kulturelle Veranstaltungen wie “Die Perlen der jüdischen Kultur”statt. Über 600 jüdische Organisationen sind in der Ukraine registriert und die Veranstaltungen erfreuen sich nicht nur großer Beliebtheit innerhalb Lembergs und Czernowitz, sondern ziehen aufgrund ihrer überregionalen Bedeutung auch internationale Gäste und Förderer an.
Entgegen des russischen Narrativs einer Juden und Minderheitenunterdrückung in der Ukraine, wurde Jiddisch zusammen mit anderen Minderheitensprachen wie Polnisch, Rumänisch, Bulgarisch, Deutsch (etc.) im Jahr 2010 als offizielle staatliche Minderheitensprache anerkannt. Damit ist es offiziell erlaubt, offizielle Veranstaltungen in eigener Sprache zu führen. Auch wird die jiddische Kultur breit öffentlich gefördert, in dem es z.B. Jiddistik-Kurse und Studiengänge Jiddistik an ukrainischen Universitäten gibt und zahlreiche Wiederbelebungsversuche der Jiddischen Sprache durch Festivals, Ausstellungen, Jüdische Wochen, methodische Bücher, jiddisch-ukrainische Wörterbücher, Romane und Zeitungen auf Jiddisch und die Übersetzung der ukrainischen Nationalhymne auf Jiddisch unternommen werden.
Entgegen des russischen Narrativs einer Juden und Minderheitenunterdrückung in der Ukraine, wurde Jiddisch zusammen mit anderen Minderheitensprachen wie Polnisch, Rumänisch, Bulgarisch, Deutsch (etc.) im Jahr 2010 als offizielle staatliche Minderheitensprache anerkannt. Damit ist es offiziell erlaubt, offizielle Veranstaltungen in eigener Sprache zu führen. Auch wird die jiddische Kultur breit öffentlich gefördert, in dem es z.B. Jiddistik-Kurse und Studiengänge Jiddistik an ukrainischen Universitäten gibt und zahlreiche Wiederbelebungsversuche der Jiddischen Sprache durch Festivals, Ausstellungen, Jüdische Wochen, methodische Bücher, jiddisch-ukrainische Wörterbücher, Romane und Zeitungen auf Jiddisch und die Übersetzung der ukrainischen Nationalhymne auf Jiddisch unternommen werden.
Auch im musikalischen Bereich erlebt Jiddisch z.B. durch moderne Klezmar Musik ein Come-Back, wie z.B. das Chor Ensemble Varnitchkes-Folk oder das Orchester der jüdischen Musik um Lew Feldmann.
Einige der berühmtesten jüdischen Schriftsteller kommen aus dem Gebiet der heutigen Ukraine. Der “jüdische Mark Twain” Scholem Alejchem zum Beispiel, der in der Nähe von Kiew geboren wurde.
Jüdische Schriftsteller aus der Ukraine
Aus den Regionen Bukowina und Galizien stammen sogar so überraschend viele hochkarätige deutschsprachige, überwiegend jüdische Schriftsteller, dass das Projekt “Bukowinisch-Galizische Literaturstraße” sie an ihren Lebensorten bekannt machen will (vgl. Jüdische Allgemeine “Zwischen Brody und Czernowitz”, Eugen El, 28.01.2021) . Schriftsteller*innen wie Paul Celan (geboren 1920 in Czernowitz, “Todesfuge”), Joseph Roth (geboren 1892 in Brody, 90 km von Lwiw, “Radetzkymarsch”, “Die Legende vom heiligen Trinker”) oder Rose Ausländer (geboren 1901 in Czernowitz, “Blinder Sommer”) sollen so sukzessive mit Denkmälern und Ausstellungen geehrt werden, damit die Bevölkerung darüber ins Gespräch kommt, die Werke liest und die großartige und reiche Kultur wieder lebendig wird.
In Czernowitz und Lemberg sind die jiddischen Wurzeln überall ersichtlich. Aktuell kämpft mit Wolodymyr Selenskyj heldenhaft ein jüdischer Präsident, um das Bestehen seines Landes und des ukrainischen Volkes. Der antisemitische, faschischtische Vorwurf gegenüber der ukrainischen Regierung erschien nie zynischer als jetzt. Wieder Juden auf der Flucht, ein jüdisches Staatsoberhaupt ganz persönlich unter Beschuss. Auf dem Spiel steht die freie Ukraine, das freie ukrainische Volk. Aber diese Ukraine, dieses ukrainische Volk stand in den letzten Jahren, mehr als jedes andere Volk für ein Aufblühen eines inklusiven Nationalstolzes, der eben nicht durch Grenzen erstarkt, sondern durch das Aufweichen von Grenzen, durch das einander Umarmen und Miteinander für positive Veränderungen kämpfen. So wie jüdische und orthodoxe Ukrainer auf dem Maidan gemeinsam gegen Janukowitsch protestiert haben. Nun kämpfen Ukrainer*innen ungeachtet aller Glaubensrichtungen, sozialer Schichten und ethnischer Zugehörigkeit für eine freie demokratische Ukraine. Ich glaube und hoffe, dass dieser Krieg neben all dem Leid und der unfassbaren Zerstörung eine ganz große Einigkeit unter den Ukrainern bringen wird. Vielleicht hat die Ukraine die Chance, ein wahrhaft geeintes Land zu werden und stärker denn je aus dem Krieg hervorzugehen. Egal zu welchem Gott, aber ich bete genau dafür.
“Ще не вмерла України і слава, і воля,
Ще нам, браття молодії, усміхнеться доля.
Згинуть наші воріженьки, як роса на сонці.
Запануєм і ми, браття, у своїй сторонці…”
(1. Strophe, Ukrainische Nationalhymne, ukrainisch)
אוקריינא ס כבוד און פרייהייט זענען נישט טויט נאָך,
דער גורל וועט אונדז שמייכלען, יונגע ברידער.
אונדזערע שונאים וועלן אומקומען ווי טוי אין דער זון.
לאָמיר, ברידער, הערשן אויף אונדזער זייַט.
aukreyna s khbud aun freyheyt zenen nisht toyt nokh,
der gurl vet aundz shmeykhlen, iunge brider.
aundzere shunim veln aumkumen vi toy in der zun.
lomir, brider, hershn aoyf aundzer zayt.
(1. Strophe, Ukrainische Nationalhymne, Jiddisch /
Hebräische Schrift, darunter lateinische Transliteration)
“Ruhm und Wille der Ukraine sind noch nicht tot,
das Schicksal wird uns zulächeln, junge Brüder;
unsere Feinde werden wie Tau in der Sonne zugrunde gehen,
wir, Brüder, werden im eigenen Lande herrschen…”
(1. Strophe, Ukrainische Nationalhymne, Deutsch)
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